Wie kommt es nur, dass sich in den Köpfen von manchen Mitmenschen das Vorurteil eingenistet hat, dass schwerbehinderte Menschen alles geschenkt bekommen? Ich kann mir das nicht erklären und starte eine kleine Reihe, in der ich zeige, wie die Realität ausschaut.
Zuerst ein paar Zahlen. Als schwerbehindert zählen in Deutschland alle Menschen, bei denen ein GdB (Grad der Behinderung) von mindestens 50% festgestellt wurde. In Deutschland leben ca. 7,7 Mio. Schwerbehinderte. Dies entspricht ca. 9,5% aller Deutschen. Die große Mehrheit der Schwerbehinderten hat eine Krankheit als Ursache für ihre Behinderung (nämlich 6,8 Mio.). Noch nicht einmal die Hälfte der Schwerbehinderten ist erwerbstätig. Die Agentur für Arbeit hat für das Jahr 2017 eine Quote von 47% festgestellt (Quelle: Agentur für Arbeit).
Natürlich reicht dieser Blogartikel nicht aus, um alle Ursachen und verpasste Möglichkeiten aufzuzeigen, aber mindestens 50% alle Schwerbehinderten Menschen sind ohne Arbeit und sind auf Unterstützung angewiesen. Bekommen sie deshalb alles geschenkt? Wohl eher nicht, denn eine Behinderung zu haben, kostet Zeit und Geld.
Ich möchte nun auch nicht auf alle Nachteilsausgleiche eingehen, die Schwerbehinderten zur Verfügung stehen. Ich möchte aber darauf aufmerksam machen, dass diese Ausgleiche durchaus ihre Berechtigung haben und mit Schmarotzertum nichts gemein haben.
Es braucht z.B. niemand auf die fünf zusätzlichen Urlaubstage neidisch sein, wenn man weiß, wie viel Zeit Schwerbehinderte bei Ärzten und in Krankenhäusern oder Spezialkliniken verbringen.
Ich selbst habe das Glück, dass ich durch meine Erkrankung nicht derart eingeschränkt bin, dass ich meinen Job nicht mehr ausüben kann. Ich gehöre zu den wenigen schwerbehinderten Menschen, die in Vollzeit arbeiten. Als Hauptverdiener in der Familie versuchen wir natürlich, dies mir allen Mitteln beizubehalten. Denn es gibt sehr viele Situationen, in denen Schwerbehinderte eben nichts geschenkt bekommen. Ich mache dies mal ein zwei Beispielen fest.
Viele Schwerbehinderte haben mit einer Inkontinenz zu tun. Aus was für Gründen auch immer läuft Urin unkontrolliert aus. Als Kassenleistung erhält der Patient eine Erwachsenenwindel, deren Saugleistung mäßig und die Passform bestenfalls ausreichend ist. Als Folge davon sitzt oder steht der Patient im Nassen und läuft Gefahr, sich wund zu sitzen. Dies bedeutet für die Kasse zwar Mehrkosten durch die Behandlung von Folgeerkrankungen, aber in Summe über alle inkontinenten Menschen scheint sich das dennoch zu rechnen.
Wer auf alternative Produkte zurückgreifen möchte, wie z.B. eine Windelhose, deren Saugleistung und Passform auch für aktive Menschen angebracht ist, muss die Mehrkosten dafür aus eigener Tasche zahlen. Das Kuriose daran: Das von der Kasse subventionierte Produkt ist auf dem freien Markt nochmals gut 20% günstiger zu haben.
Wer aber nun kein eigenes oder nur ein sehr geringes Einkommen hat, schaut in die Röhre. Denn für das höherwertige Produkt fehlt einfach das Geld. Denn immerhin reden wir hier von regelmäßigen Kosten, denn bei Inkontinenzprodukten handelt es sich wenig überraschend um Verbrauchsmaterial, das regelmäßig, Monat für Monat gekauft werden muss. Die Folge: Der Patient fällt nochmals länger aus und muss sich mit Folgeerkrankungen herumschlagen, die vermeidbar sind.
Ist ein Mensch in seiner Gehfähigkeit eingeschränkt und lässt sich in einem Sanitätshaus zu einen für ihn optimalen Rollstuhl beraten, der muss ebenfalls feststellen, dass die Krankenkassen nur einen Teil der Kosten übernehmen.
An dieser Stelle sei angemerkt, dass die Menschen sehr viele Stunden in diesem Rollstuhl zubringen. Wer einen Bürojob ausübt, wird wissen, wie wichtig es ist, immer wieder mal auszustehen, um den Kreislauf in Schwung zu bringen. Wer dies nicht so ohne weiteres kann, muss sich nicht nur nach Möglichkeiten erkunden, wie dies dennoch möglich ist, sondern benötigt auch einen entsprechenden Rollstuhl.
Nun steht der Patient wieder vor der Wahl. Gibt er sich mit dem “Kassenmodell” zufrieden, der nicht optimal sondern vielleicht nur befriedigend oder ausreichend ist oder zahlt er drauf? Da hier schnell Kosten in Höhe von 500 oder 1.000 Euro zusammenkommen, dürfte klar sein, dass sich für viele Schwerbehinderte diese Frage nicht stellt.
Allein diese beiden Beispiele zeigen, dass Schwerbehinderte mitnichten alles geschenkt bekommen, sondern oftmals im besonderen Maße zur Kasse gebeten werden. Wenn Schwerbehinderte dann als Sozialschmarotzer betituliert werden, trifft es diese Menschen gleich mehrfach. Natürlich gibt es im Sozialstaat auch immer wieder negative Beispiele, aber deshalb darf nicht die gesamte Gruppe der Schwerbehinderten denunziert werden.
Deshalb diese kleine Reihe, in der ich zeige, wie wenig Schwerbehinderte tatsächlich geschenkt bekommen und hoffe, dass das ein oder andere Vorurteil gegenüber behinderten Mitmenschen ausgeräumt werden kann.
Schon seit Anbeginn des Internets pflegte Eng einen Blog. Und weil es ihm Spaß macht, seine Erfahrungen zu teilen, sind es immer Mischblogs, so wie dieser hier.
Seitdem seine neuromuskuläre Erkrankung einen deutlich größeren Einfluss auf sein Leben hat, befinden sich neben den Beiträgen zur Fotografie, Aquaristik, Reisen, Verbraucherschutz und Technik auch Beiträge zu Gesundheitsthemen auf diesem Blog.
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