[Tabuthema] Blasenfunktionsstörung

Lange Zeit war die ein­hel­lige Mei­n­ung, dass bei HMSN (hered­itäre motorisch-sen­si­ble Neu­ropathie) bzw. CMT (Char­cot-Marie-Tooth) keine Blasen- oder Darm­funk­tion­sstörung auftritt. Es ist zwar sel­ten, aber die neusten Erken­nt­nisse gehen dahin, CMT als sys­temis­che Erkrankung zu ver­ste­hen, so dass eine Blasen­funk­tion­sstörung dur­chaus eine Folge dieser Erkrankung sein kann.

Wie bei allen gesund­heitlichen The­men muss eine Abklärung bei einem Arzt erfol­gen. In diesem Fall ist ein Urologe die richtige Adresse.

Bei der CMT wer­den die Ner­ven ange­grif­f­en bzw. zer­stört und kön­nen den Sig­nalfluss zur Blase bee­in­flussen. Dadurch kann eine neu­ro­gene Blasen­funk­tion­sstörung entste­hen. Es ist nicht bekan­nt, wie viele Betrof­fene sich mit ein­er solchen herum­schla­gen müssen. Auch gibt es immer wieder Über­lagerun­gen unter­schiedlich­er Erkrankun­gen, so dass eine Ursachen­forschung erschw­ert.

Die Blasen­funk­tion­sstörung in drei unter­schiedlichen For­men zutage.

1: Störung beim der Spe­icherung von Urin

Bei manchen Betrof­fe­nen tritt eine über­ak­tive Blase auf. D.h., dass schon bei kleineren Urin­men­gen ein Harn­drang aus­gelöst wird. Es wer­den beim Toi­let­ten­gang nur kleine Men­gen an Urin aus­geschieden und die Fre­quenz der Gänge ist deut­lich erhöht. Meist wird der nächtliche Schlaf durch zahlre­iche Unter­brechun­gen gestört.
Wenn auch der Blasen­schließ­muskel betrof­fen ist, kann es zu ein­er unwillkür­lichen Entleerung der Blase kom­men.

2: Störung bei der Blase­nentleerung

Ist die Blase­nentleerung gestört, dann ver­min­dert sich die Fähigkeit der Blase, sich zusam­men­zuziehen. Es kommt dann zu ein­er verzögerten oder inkom­plet­ten Entleerung der Blase. Dadurch kann die Blase über­füllt wer­den, wodurch sie über­laufen kann. Es kann sich Urin bis zu den Nieren zurück­stauen bzw. die Blase kann sich spon­tan selb­st entleeren.

3: Kom­bi­na­tio­nen aus bei­den For­men

Es ist gar nicht mal so sel­ten, dass Mis­chfor­men auftreten. Dann haben die Betrof­fe­nen gle­ich mehrere Prob­leme mit der Blase, die sich z.B. so äußern kön­nen:

  • ein ver­stärk­ter Harn­drang manch­mal gepaart mit Schwierigkeit­en, die Blase­nentleerung zu starten
  • ein unter­broch­en­er Harn­strahl oft­mals gepaart mit ein­er Entleerung nur kle­in­ster Men­gen
  • direkt nach dem Toi­let­ten­gang das Gefühl ein­er vollen Blase,
  • ein erneuter Toi­let­ten­gang nach kurz­er Zeit
  • größere Men­gen Restharn
  • unge­wollte Blase­nentleerung (kom­plett oder teil­weise)

Diese Prob­leme sind meist viel gravieren­der als die motorischen Ein­schränkun­gen, weil sie ein viel größeren Ein­fluss auf den All­t­ag und die Leben­squal­ität der Betrof­fe­nen haben. Außer­dem schaukeln sich Symp­tome ein­er Blase­nentleerungsstörung gegen­seit­ig auf. Eine Überdehnung der Blase bzw. ein Verbleib von Restharn in der Blase ver­stärken die Inkon­ti­nenz. Neben Beein­träch­ti­gun­gen im sozialen und beru­flichen Leben kom­men oft­mals gesund­heitliche Beschw­er­den wie häu­fige Harn­wegsin­fek­tio­nen hinzu.

Aus Schamge­fühl scheuen sich Betrof­fene sehr lange davor, bei einem Urolo­gen vorstel­lig zu wer­den. Das ist über­aus nachvol­lziehbar. Vielle­icht hil­ft es, sich in einem Kreis von eben­falls Betrof­fe­nen schlau zu machen, um zu sehen, dass man mit seinen Beschw­er­den vielle­icht ein Exot, aber nicht allein ist. So gibt es z.B. mehr von CMT Betrof­fene, die sich mit Blasen­prob­le­men rum­schla­gen müssen, als man denkt.

Tipp 1: Trinkmenge

Sehr viele Betrof­fene reduzieren ihre Trinkmenge. Das ist ver­ständlich, weil so die Toi­let­tengänge reduziert wer­den. Allerd­ings kön­nen sich dann Blasen- und Nieren­steine entwick­eln, so dass genau das Gegen­teil vom Gewün­scht­en erzielt wird. Betrof­fene soll­ten aus­re­ichend trinken, auch damit die Blase regelmäßig freige­spült wird, was das Risiko für eine Harn­wegsin­fek­tion reduziert.

Immer wieder hört man von der Empfehlung, dass man min­destens zwei Liter pro Tag trinken soll. Davon geht man weg, denn eine zier­liche Per­son von 60 kg benötigt sicher­lich eine andere Flüs­sigkeits­menge als der 120 kg Mann. Deshalb sagt man heutzu­tage, dass eine Trinkmenge von 30 ml pro kg Kör­pergewicht zu sich genom­men wer­den sollte. Fol­gend drei Beispiele, wie sich diese Empfehlung auf die Trinkmenge auswirkt.

60 kg → 1800 ml (also zir­ka 1,8 l)
80 kg → 2400 ml (also zir­ka 2,4 l)
100 kg → 3000 ml (also zir­ka 3,0 l)

Es lässt sich anhand der Farbe des Urins leicht fest­stellen, ob man genug getrunk­en hat. Dabei gilt, dass je heller der Urin ist, umso aus­re­ichend ist der Men­sch mit Flüs­sigkeit­en ver­sorgt. Ist der Urin dunkel und geruchsin­ten­siv, wurde zu wenig getrunk­en.

Tipp 2: Phys­io­ther­a­pie

Es ist möglich, gezielt die Beck­en­bo­den­musku­latur zu stärken. Auch bei ein­er CMT ist es nach neusten Erken­nt­nis­sen möglich, noch funk­tion­ierende Muskeln gezielt zu stärken, ohne diese zu über­las­ten. Sehr hil­fre­ich in diesem Zusam­men­hang ist das Biofeed­back­ver­fahren. In diesem wird erlernt, unbe­wusst ablaufende Funk­tio­nen im Kör­p­er bewusst wahrzunehmen und zu steuern. Auch hier soll­ten sich Betrof­fene nicht davor scheuen, eine solche Ther­a­pie wahrzunehmen.

Tipp 3: Hil­f­s­mit­tel annehmen

Bei unwillkür­lichen Harn­abgän­gen helfen Ein­la­gen und Hosen, die auch größere Men­gen an Urin aufnehmen kön­nen. Bei Restharn kann die Blase von Betrof­fe­nen selb­st­ständig mit einem Katheter entleert wer­den. Bei­des wird oft­mals äußerst befremdlich beäugt, aber schlussendlich führt die Nutzung dieser Hil­f­s­mit­tel zu ein­er deut­lich besseren Leben­squal­ität.

Bei ein­er Darminkon­ti­nenz gibt es Möglichkeit­en, eine Ver­stop­fung zu lösen (mit Medika­menten oder einem Ein­lauf) oder einem unge­woll­ten Stuh­lab­gang mit Anal­tam­pons ent­ge­gen­zuwirken.

Tipp 4: Ernährung

Einige Medika­mente, die Men­schen mit neu­ro­muskulären Erkrankun­gen zu sich nehmen, führen zu Ver­stop­fun­gen, wodurch es neben der Blasen­funk­tion­sstörung zusät­zlich zu ein­er Dar­mentleerungsstörung kom­men kann. Hier hil­ft viel trinken und  ins­beson­dere eine bal­last­stof­fre­iche Ernährung. Es gibt zudem harn­treibende Lebens­mit­tel und welche, die dafür bekan­nt sind, ein­er Harn­wegsin­fek­tion ent­ge­gen­zuwirken. Da dieses The­ma sehr umfänglich ist, werde ich mich dieses The­mas in einem Fol­ge­beitrag annehmen.

Die DSD (Detru­sor-Sphin­k­ter-Dyssyn­ergie) ist eine neu­ro­muskulär bed­ingte Harn­blasen­funk­tion­sstörung. In Folge dessen kommt es zu ein­er man­gel­nden Koor­di­na­tion von Blasen­musku­latur und dem äußeren Harn­röhren­sphink­ter (dies ist auch ein Muskel). Der gesamte phys­i­ol­o­gis­che Vor­gang, mit dem die Harn­blase entleert wird, nen­nt sich Mik­tion. Liegt eine Harn­blasen­funk­tion­sstörung vor, so spricht man von ein­er Mik­tion­sstörung.

Vere­in­facht gesagt arbeit­en die unter­schiedlichen Muskeln nicht mehr so miteinan­der, so dass es zu einem unge­woll­ten Harn­ab­gang kom­men kann bzw. es kann Restharn in der Blase verbleiben, der zu einem Harn­stau bis in die Nieren führt.

Das kann zu Kom­p­lika­tio­nen wie Harn­wegsin­fek­ten oder ein­er Druck­a­t­ro­phie führen. Let­zteres ist ein Gewebeschwund auf­grund eines erhöht­en Drucks, verur­sacht durch den Harn­stau.

Behan­deln kann man diese Harn­blasen­funk­tion­sstörung auf unter­schiedliche Art und Weise. Eine sehr bekömm­liche Meth­ode ist das Biofeed­back, das mit­tels unter­schiedlich­er Übun­gen gezielt die Kon­trolle der Beck­en­bo­den­musku­latur verbessert. Dies funk­tion­iert auch beim Mann, bei dem eine Sonde anal einge­führt wird und die Beck­en­bo­den­musku­latur gezielt anspricht. Bei der Frau kann dies auch vagi­nal erfol­gen.

Ist der Patient noch fit genug, so kann mit­tels ein­er inter­mit­tieren­den Selb­stka­theter­isierung der Harn voll­ständig aus der Blase abge­lassen wer­den. Wer dazu nicht mehr in der Lage ist, kann dies mit­tels eines Dauerka­theters erfol­gen.

Es gibt aber auch oper­a­tive Meth­o­d­en, wie z.B. die gezielte mit­tels ein­er Bot­u­linum­tox­in-Injek­tion her­beige­führte Läh­mung des Blasen­muskels bzw. ein Ein­schnitt in das Gewebe (Inzi­sion) des äußeren Sphin­k­ters.

Welch­es Vorge­hen das Beste ist, muss sehr indi­vidu­ell der Urologe entschei­den.

Hin­weis: Wie bei allen medi­zinis­chen The­men übernehme ich keine Haf­tung für die zusam­menge­tra­ge­nen Infor­ma­tio­nen. Die Recherche im Inter­net erset­zt keinen Besuch bei den Fachärzten. Dieser Beitrag ist ein Wis­sensar­tikel und soll das Basiswis­sen ver­mit­teln, wie der Harn­trakt beim Men­schen funk­tion­iert. Dafür wurde die Vorgänge im Kör­p­er vere­in­facht und schema­tisch gezeigt.

Darüber redet man nicht! Wie oft hören Betrof­fene dies? Dabei ist der Gesprächs­be­darf ein­deutig vorhan­den. Und die meis­ten Men­schen weichen deshalb in Netz aus, um sich über The­men zu informieren, die wichtig sind, aber kaum im Fokus ste­hen. Deshalb gibt es diese Rei­he auf diesem Blog, wo immer wieder Tabuthe­men ange­sprochen wer­den.

Es heißt, wer mit ein­er chro­nis­chen sel­te­nen neu­ro­muskulären Erkrankung lebt, muss für diese selb­st zum Experten wer­den. Es gibt aber auch viele Über­schnei­dun­gen, weshalb ich alle Beiträge, die im Zusam­men­hang mit mein­er Erkrankung ent­standen, auf ein­er eige­nen Seite zusam­mengestellt habe. Dort schreibe ich nicht nur den Weg zur Diag­nose und wie sich die CMT äußert, son­dern auch darüber, wie ein Schwer­be­hin­der­tenantrag beantragt wird, welche Stolper­steine der All­t­ag und die Beruf­swelt für behin­derte Men­schen bere­i­thält und ich gehe das ganz große The­ma Hil­f­s­mit­tel an. Wie finde ich das passende Hil­f­s­mit­tel und wie beantrage ich es.

Zu mein­er Über­sicht.

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