Du kriegst doch alles geschenkt Teil 4: Der Zweitrollstuhl

Es klingt zwar logisch, aber kaum ein­er macht sich darüber Gedanken, wer nicht selb­st davon betrof­fen ist. Man stelle sich vor, es ist ein fieser nasskalter Herb­st­tag. Es reg­net, nass­es Laub liegt auf der Straße und Pfützen säu­men den Gehweg. Es braucht nicht viel Fan­tasie, um sich vorzustellen, wie ein Roll­stuhl auss­chaut, der durch dieses Wet­ter in die Woh­nung gefahren ist.

Fußgänger machen einen großen Satz über Schlammpfütze hin­weg, dem Roll­stuhlfahrer ist dies nicht möglich. Und so lan­det ein schlam­miger Roll­stuhl in der Woh­nung. Und während die Fußgänger ihre Schuhe ausziehen, wird vom Roll­stuhlfahrer erwartet, dass er seinen Roll­stuhl entwed­er selb­st reinigt oder mit dem schmutzi­gen und nassen Gefährt durch die Woh­nung fährt.

Wie läuft diese Versorgung ab?

Der Antrag auf einen Zweitroll­stuhl ist schnell gestellt. Ich bin Kassen­pa­tient und mit Kindern natür­lich geset­zlich ver­sichert. Die Ablehnung dürfte bei allen geset­zlichen Krankenkassen ähn­lich ablaufen. Wie es bei Pri­vat­pa­tien­ten auss­chaut, ver­mag ich nicht zu sagen.

Ablehnung 1:

Sie sind bere­its mit einem Adap­tivroll­stuhl ver­sorgt. Die Ver­sorgung wurde von uns […] genehmigt. Eine Dop­pel- oder Mehrfachausstat­tung ist unwirtschaftlich. Eine erneute Ver­sorgung ist nur dann möglich, wenn das bere­its vorhan­dene Hil­f­s­mit­tel nicht mehr genutzt wer­den kann.

In diesem Fall bedeutet eine Genehmi­gung seit­ens der Krankenkasse, dass ein Pauschal­beitrag für einen Roll­stuhl bewil­ligt wurde und ich die Dif­ferenz selb­st tra­gen durfte. Immer­hin deut­lich über 1.000 Euro. Nach welchen Kri­te­rien der eine Behin­derte nur mit ein­er Pauschale abge­speist wird, während dem anderen das passende Mod­ell bezahlt wird, kon­nte ich bish­er noch nicht in Erfahrung brin­gen.

Gegen diese Ablehnung habe ich Wider­spruch ein­gelegt und ein zwei­seit­iges Doku­ment beige­fügt, in dem ich die Zweitver­sorgung begründe und um eine Einzelfal­l­entschei­dung bitte. Eine der Haupt­gründe ist, dass wenn ich nur einen Roll­stuhl habe und dieser Fre­itag Abends kaputtge­ht, wird mir erst früh­estens am Mon­tag weit­erge­holfen.

Mit diesem Wider­spruch hat die Krankenkasse den medi­zinis­chen Dienst eingeschal­tet.

Ablehnung 2:

Wie klingt es, wenn der medi­zinis­che Dienst eine Ver­sorgung mit einem Zweitroll­stuhl ablehnt? So:

Aus medi­zinis­ch­er Sicht über­steigt die Ver­sorgung mit einem zweit­en Adap­tivroll­stuhl als Wech­se­lausstat­tung das Maß des Notwendi­gen.
Der vorhan­dene Adap­tivroll­stuhl ist zur Ver­sorgung des Ver­sicherten zum Erhalt der selb­st­ständi­gen Mobil­ität im Innen- und Außen­bere­ich und zur Erschließung des Nah­bere­ichs aus­re­ichend und zweck­mäßig.

Dass der Roll­stuhl von mir mit­fi­nanziert wurde, inter­essiert wed­er die Krankenkasse noch den medi­zinis­chen Dienst. Der MDK darf sog­ar so dreist sein und so tun, als hätte die Krankenkasse den vorhan­de­nen Roll­stuhl voll­ständig finanziert, auch wenn die Krankenkasse nur einen Pauschal­beitrag bewil­ligt hat.

Endgültige Ablehnung:

Wer gegen das Gutacht­en des medi­zinis­chen Dien­stes einen Wider­spruch ein­legt, läutet die näch­ste Runde ein. Die Krankenkasse hat eine Wider­spruch­skom­mis­sion (oder sowas ähn­lich­es), wo solche Fälle näher betra­chtet und beurteilt wer­den. Aber auch von dieser Stelle habe ich mit gle­ich­er Begrün­dung eine Ablehnung erhal­ten.

Nach diesem Ablehnungs­bescheid wäre nun der Gang vor das Sozial­gericht möglich. In der ersten Instanz beste­ht noch keine Anwalt­spflicht und ich hätte dies selb­st ver­suchen kön­nen. Allerd­ings gibt es einige Präze­den­zfälle, die alle gegen den Patien­ten aus­ge­fall­en sind. Meine Erfol­gsaus­sicht­en sind da sehr ger­ing, weshalb ich es dabei belassen habe.

In Deutsch­land wer­den Behin­derte, die von den Krankenkassen und Sozialämtern ver­sorgt wer­den, nicht im gle­ichen Maße ver­sorgt, wie Behin­derte, die von einem anderen Kos­ten­träger ver­sorgt wer­den. Bei allen Kos­ten­trägern außer der geset­zlichen Krankenkasse und dem Sozialamt wer­den Zweitroll­stüh­le mit der gle­ichen Begrün­dung bewil­ligt. Wer also das Glück hat und entsprechend ver­sorgt wird, sollte unbe­d­ingt einen Ver­such starten.

Und nun?

Man darf sich in Deutsch­land nicht direkt von den Hil­f­s­mit­te­lan­bi­etern ver­sor­gen lassen. Auch dann nicht, wenn man die Rech­nung selb­st bezahlt. Es ste­ht aber natür­lich jedem frei, sich über das San­ität­shaus auf eigene Kosten einen Roll­stuhl zu bestellen. Diesen Weg bin ich nicht gegan­gen, aber Erfahrungs­berichte aus dem Netz zeigen, dass man dafür bess­er Online­händler wählt, die beim Preis einiges mehr machen kön­nen als die niederge­lasse­nen San­ität­shäuser.

Ich selb­st bin den Weg gegan­gen und habe eine zeit­lang den Gebraucht­markt beobachtet, ob nicht irgend­wann ein Roll­stuhl inseriert wird, der wenig­stens so einiger­maßen passt. Dabei habe ich mich an der Sitzbre­ite und ‑tiefe ori­en­tiert. Ein Roll­stuhl der eine gle­iche Sitzfläche hat wie mein Haup­trol­l­stuhl, sollte so einiger­maßen passen. Es hat zwar etwas gedauert, bis ich einen gefun­den habe, aber ich habe einen gefun­den, so dass ich nun als Zweitroll­stuhl einen Gebraucht­en fahre, der zwar nicht auf mich abges­timmt ist, ich aber den­noch damit zurechtkomme.

Den deut­lich­sten Unter­schied erken­nt man sofort. Während beim recht­en Roll­stuhl die Sitzfläche höher ist, so ist auch die Fußraste höher. Das habe ich später selb­st gemacht, weil mir der Roll­stuhl zu oft mit der Fußraste aufge­set­zt hat. Diese war näm­lich zuerst so tief wie beim linken Roll­stuhl.

Der rechte Roll­stuhl ist mein Haup­trol­l­stuhl – ein Sop­ur Xenon 2 mit dem e‑Motion von Alber – und der linke der Zweitroll­stuhl – ein ProAc­tiv Trav­eller – , den ich auch fürs Hand­biken gekauft hat­te. Immer­hin ist der Trav­eller einen Zen­time­ter schmaler (in ein­er kleinen Woh­nung in der Stadt kann das ein nicht zu unter­schätzen­der Fak­tor sein) und durch die tief­ere Sitzfläche komme ich auch bess­er unter unseren Küchen­tisch.

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