Im Job ohne Grenzen?

Hinweis: Wie schon der erste Beitrag zu den gesammelten Erfahrungen Schwerbehinderter aus der Arbeitswelt, ist dieser Beitrag eine Summe aus Erfahrungen unterschiedlicher schwerbehinderter Personen, die Berufe erlernt haben, die mal mehr (Ingenieure, Programmierer) und mal weniger (Kaufleute) gefragt sind. Außerdem fließen Erfahrungen von Personalleitern und dieses Mal auch von Schwerbehindertenvertretungen in diesen Beitrag mit ein. Es dürfte verständlich sein, dass sowohl Personen als auch Firmen anonym bleiben.

Sag ich's oder sag ich's nicht?

Diese Frage kann man in mehrerlei Hinsicht anwenden. Wer eine unsichtbare Behinderung oder Erkrankung hat, fragt sich dies in einer eher grundsätzlichen Natur. Und das nicht nur bezogen auf das Bewerbungsgespräch, sondern auch, wenn er festangestellt irgendwo arbeitet.

Bezogen auf das Bewerbungsgespräch stellt sich die Frage, ob der Bewerber  mit einer sichtbaren Behinderung oder Erkrankung dies schon in den telefonischen Vorgesprächen mitteilt. 

Geboren aus einem Projekt der Universität zu Köln ist die Webseite “Sag ich’s?” entstanden. Dort werden ebenfalls unterschiedliche Aspekte der Fragestellung angeführt. Oftmals aber eher im Sinne einer unsichtbaren Behinderung.

Ich empfehle, immer schon in Vorgesprächen anzugeben, dass man auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Und mit dieser Empfehlung bzw. Meinung bin ich nicht alleine. Das hat gleich mehrere Gründe.

  • Es gibt Arbeitsplätze, die für Rollstuhlfahrer nicht geeignet sind. Das ist so!

Auch wenn viele das gern anders sehen möchten und dies verneinen, was aber quatsch ist. Ich hatte tatsächlich schon einen Schwerbehinderten vor mir sitzen, der felsenfest behauptet hat, dass auch Schwerbehinderte Astronauten werden könnten, wenn man das denn nur wolle. Natürlich hat besagte Person dies aus einer sehr sicheren Position heraus formuliert, denn sie hatte eine Festanstellung in einem Großkonzern. Und war auch darüber hinaus während ihrer Laufbahn nirgends anders angestellt.

Der Gedanke ist grundlegend falsch, dass man als Schwerbehinderter alles machen kann, wenn man dies nur wolle. Dieser Tipp ist vor allem für junge Menschen, die am Anfang ihrer Berufsausbildung stehen, sehr fatal. Dieser Tipp ist ähnlich falsch, wie dieser, dass man den Beruf erlernen solle, der einem Spaß macht, ohne auf die Chancen im Arbeitsmarkt zu schauen. Das gilt auch für Fußgänger! Wer etwas erlernen möchte, muss unbedingt und zwingend ein Ziel vor Augen haben, wo er am Ende arbeiten möchte. Ohne dieses Ziel, kann es möglich sein, dass man sich direkt in die Arbeitslosigkeit ausbildet!

  • Warum muss ich den potentiell zukünftigen Arbeitgeber mit meiner Behinderung überraschen?

Einfach gar nichts sagen und ohne Vorwarnung zum Bewerbungsgespräch gehen. Für einen Rollstuhlfahrer kann dieser Tipp in einem Bewerbungsgespräch einen sehr faden Beigeschmack haben. Warum sollte man seinen zukünftigen Chef gleich derart überraschen? Ich würde annehmen, dass dies keine angenehme Überraschung ist und der Bewerber die Vorgesetzen damit eher bloßstellt.

Reaktionen auf und aus Bewerbungsgesprächen

Viele schwerbehinderte Angestellte berichten in den sozialen Medien von ihren Erfahrungen. Diese machen deutlich, wie wenig integriert Schwerbehinderte in der Arbeitswelt bzw. auf dem ersten Arbeitsmarkt tatsächlich sind.

🚫 “Kann ich Sie überhaupt in der Probezeit kündigen?”
🚫 “Der Freund eines Bekannten hatte auch eine seltene Erkrankung und ist jetzt frühzeitig in Rente gegangen.”
🚫 Tiefes Schweigen, nachdem die Gesprächspartner von meinem Rollstuhl überrascht wurden und relativ schnell nach einem alternativen Besprechungsraum suchen mussten. Das Bewerbungsgespräch wurde schnell durchgeführt und der Bewerber merkte schon im Gespräch, dass die Absage folgen wird, die nach 2 Tagen dann auch prompt kam.

Die schwerbehinderten Bewerber haben sich sehr verletzt gefühlt, vor allem, wenn sie eine nicht sichtbare Schwerbehinderung bzw. chronische Krankheit haben, und dies im Gespräch offenbart haben. Die Bewerber fühlten sich tief verletzt nachdem sie eine persönliche Information preisgegeben hatten, was sie im Grunde genommen nicht mussten. Bei sichtbaren Behinderungen fühlten sich viele Bewerber ebenfalls verletzt, wenn das Bewerbungsgespräch motivationslos durchgeführt wurde.

Viele schwerbehinderten Bewerbern wird mit Misstrauen begegnet, nicht selten aus Unwissenheit. Das Vertrauen in eine gesunde Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Beziehung ist noch gleich von Beginn an gestört. Eine unverfängliche Wertschätzung findet erst gar nicht statt. Arbeitgeber verkennen oftmals die generalistische Einsatzsetzbarkeit von Schwerbehinderten, die in ihrem Leben schon viele Hürden gemeistert haben bzw. meistern mussten. Wer sonst kann schon in jungen Jahren von einem derartigem Potential schöpfen?

Ich habe vor geraumer Zeit einen sehr theoretischen Vortrag einer SBV (Schwerbehindertenvertretung) eines Großkonzerns beigewohnt, der nur bedingt die Realität widerspiegelte und offenbarte, wie individuell die Arbeitswelt von Schwerbehinderten bewertet wird. Hin und wieder tut man gut daran, sich den Lebenslauf der Person anzuschauen, die einem Tipps gibt.

Die SBV z.B. hat ihre Ausbildung in dem Großkonzern absolviert, wurde dort übernommen und war seither immer nur dort angestellt. Zudem war diese Person nur an einem Standort und in einem bestimmten Bereich tätig. Sie (also die Person) hat eine sichtbare Behinderung, die auch schon in der Bewerbungsphase vorhanden war.

Früher war der Tenor, dass wenn man in einem Großkonzern untergekommen ist, dann ist das ein Job fürs Leben. Heutzutage ist das anders. Auch für Schwerbehinderte. Hat man sich vor seiner Ausbildung gut informiert, was der Markt fordern wird und an welchen Fachkräften es mangelt bzw. mangeln wird, dann kann man nämlich sehr wohl auch als Schwerbehinderter und chronisch Kranker Karriere machen. Auch wenn der Weg steiniger ist.

Und genau darum ging es in der Podiumsdiskussion, die dem Vortrag folgte. Wir haben uns auf Rollstuhlfahrer bezogen, weil wir beide in diese Gruppe fallen. Ich war und bin der Meinung, dass nicht jeder Job für Rollstuhlfahrer geeignet ist. Wie z.B. der Dachdecker, den der Aktivist Raul Krauthausen für seinen Buchtitel wählte. Die SBV hingegen hat felsenfest den Standpunkt vertreten, dass auch ein solcher Job möglich wäre, wenn denn der Wille dazu wäre. Nun, ich denke, dass nicht viele Rollstuhlfahrer den Wunsch verspüren Dachdecker zu werden. Zu recht.

Im weiteren Verlauf der Diskussion stellte sich heraus, dass der SBV nicht bekannt war, dass in den heutigen Stellanzeigen der Satz, dass bestimmte Personengruppen bei gleicher Eignung bevorzugt werden, nicht mehr enthalten ist. Auch nicht in denen des Konzerns, für den sie arbeitete. Dort stand lediglich der Hinweis, dass gutgeheißen wird, wenn sich schwerbehinderte Menschen bewerben. Von einer Bevorzugung bei gleicher Eignung wollte auch dort niemand etwas wissen.

Deshalb nochmals meine Empfehlung für junge Menschen, die überlegen, welchen Pfad sie einschlagen möchten und für Arbeitnehmer, die sich weiterentwickeln wollen, sich den Arbeitsmarkt sehr genau anzuschauen und diesen auch zu beobachten.

Nur so kann man herausfinden, welche Jobs und Karrieremöglichkeiten es gibt. Hat meinen ein paar Optionen ausgelotet, so macht es Sinn, in diesen Bereichen Praktika durchzuführen, Nebenjobs zu ergattern oder sonst irgendwie herauszufinden, ob dieser Job etwas für einen sein kann (es gibt z.B. Karrieremessen, Girl- und Boys-Days, usw.).

Man muss unbedingt in alle Richtungen offen sein. Man sollte sich nicht zu sehr auf Großkonzerne fokussieren. Dort sind die Jobs nicht sicherer als im Mittelstand, aber man ist dort auf jeden Fall nur eine Personalnummer, die einen FTE (Full Time Equivalent (rechnerische Größe für eine Arbeitsstelle)) einnimmt.

So kann ich aus meiner eigenen Erfahrung sagen, dass es sich sehr gut macht, dass wenn man bei Bewerbungen damit punkten kann, wenn man in dem Bereich, in den man sich bewirbt, Zeit investiert hat. Der Journalist, der bloggt, der Ingenieur, der bei Erfindungswettbewerben mitmacht, der Programmierer, der kleine Programme zeigt, der Architekt, der großartige Entwürfe zeigt – die Liste ließe sich beliebig erweitern.

Schwerbehinderte müssen in einer Bewerbung nicht wegen ihrer Behinderung hervorstechen (das tun sie eh), sondern durch Leistung oder Kreativität oder Flexibilität oder sonst etwas, weshalb man sich aus der Masse der Bewerber hervortut.

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